Als Russland die Ukraine am 24.02.2022 grundlos überfallen hat waren wir überrascht und schokiert zugleich. Was sich dann hier in Berlin abspielte war dramatisch und gleichzeitig zutiefst bewegend: der Hauptbahnhof, völlig überfüllt von Leuten auf der Flucht vor Russlands Raketen und auf der anderen Seite eine Horde Freiwilliger, die mit äusserst beschränkten Mitteln und unermüdlichem Einsatz, unmögliches möglich gemacht haben. Gute zwei Wochen nach Beginn des Krieges haben wir selbst Flüchtlinge bei uns aufgenommen. Dann kam die Schlacht um Mariupol und die Berichte dass die Leute dort Wasser aus Heizungen trinken, um zu überleben. Ich war völlig fassungslos über die blinde Zerstörungswut und die grenzenlose Unmenschlichkeit der russischen Soldaten.
Als ich dann an dem Tag unter der Dusche stand dachte ich mir “jeder Kubikzentimeter Gas den ich hier für mein Warmwasser benutze geht in Russlands Kriegskasse und finanziert dieses schreckliche Gemetzel mit”. Voller Wut habe ich beschlossen dass Russland keinen Cent mehr von mir bekommt als unbedingt nötig und habe das Wasser auf kalt gestellt. Und seitdem ist die Einstellung in unserem Haushalt dort geblieben. Auch beim Heizen haben wir geschaut dass wir einsparen können was geht um Russland den Geldhahn, zumindest in unserem Wirkungsbereich, so weit wie möglich zuzudrehen.
Im Juni haben wir unsere Gasabrechnung bekommen und waren überrascht wie wirksam unsere Sparmaßnahmen waren:
Wir leben im obersten Stockwerk einer schlecht isolierten 70qm Wohnung mit hoher Decke (über 3,5m an der höchsten Stelle). Laut dieser Grafik unseres Gasanbieters verbraucht ein Haushalt mit unserer Größe ca. 14.000kWh im Jahr. Bereits im Vorjahr lagen wir mit einem Verbrauch von 3.668kWh bei nur einem guten Viertel des Durchschnittswertes. Wir wussten bereits dass es nicht leicht sein würde das zu unterbieten. Dieses Jahr waren wir mit 2.847kW aber nochmal fast ein Viertel unter unserem Vorjahresverbrauch und damit bei ca. einem Fünftel des bundesweiten Durchschnittsverbrauchs für unsere Wohnungsgröße. Ein großer Erfolg! Natürlich haben wir auch mitbekommen dass wir schon länger kein Gas mehr aus Russland beziehen aber es hat trotzdem gut getan zumindest in den Anfangsmonaten direkten Einfluss auf Russlands Einnahmen haben zu können. Mittlerweile sehen wir es eher sportlich und wollen einfach schauen wie lange wir es durchziehen können. Dass wir dieses Jahr, trotz rasant gestiegener Energiekosten, eine Rückzahlung von unserem Gasanbieter bekommen haben, ist nur ein kleines Bonbon obendrauf.
Und wenn ich mal wieder denke “Hui, das wird kalt!” erinnere ich mich entweder an die Menschen in Mariupol oder an Don Jean Habreys Zitat aus dem grandiosen Breaking the Jump: “Don’t half-ass it. Don’t stay in your head thinking of it. Just stop thinking, feel, relax, exhale and plunge swiftly”. Und dann wird das kalte Wasser, nach einem kurzen Moment des Schocks, zu einem stimulierenden und ermächtigenden Erlebnis. Und einher geht die Erkenntnis dass wir selbst hier, in unserer kleinen Dusche, dem größten Land der Welt trotzen können.